Zeit zum Leben

00:05 Uhr, Zürich Hauptbahnhof. Ich komme aus Bern. Eiligst räumt die Verkäuferin des Brezelstands in der Unterführung den Laden. Fast so, als hätte sie den ganzen Tag noch nicht gearbeitet. Die scheinbar ewige Liste auf der blauen Abfahrtstafel hat doch ein Ende gefunden. Wenn auch ein leicht verspätetes, wie das Auge des Verkehrsingenieur mit einem schnellen Blick merkt. Nichts aussergewöhnliches, denn die letzten Anschlüsse werden immer abgewartet. Kein Grund zur Sorge.

Gähnende Leere. (Symbolbild)
00:10 Uhr. Auch mein Zug ist der letzte auf der Tafel. Plus 6 Minuten steht bereits 10 Minuten vor Abfahrt angeschrieben. Ich freue mich auf eine gemütliche Fahrt, halb liegend quer über die Möchtegern-Sofa-Ecke im Obergeschoss des IC. Ich überlege kurz, ob ich die Beleuchtung im Wagen auf 1/2 stellen soll. Ein Vierkant hätte ich dabei, lasse es dann aber sein. Selbstjustiz tröstet auch nicht darüber hinweg, täte mir die seit Jahrzehnten abgeschafften Schlafwagen innerhalb der Schweiz zumindest wieder etwas aufleben zu lassen.

00:23 Uhr. Zum letzten Mal schaue ich – unterdessen aus horizontaler Lage – auf die Uhr. Die Gedanken kreisen darum, ob ich mein GA offen neben mich legen soll, in der Gefahr, dass es gestohlen wird oder wieder inkauf nehmen möchte, dass ich unsanft vom Kontolleur in den Unterarm gekniffen werden, wie beim letzten Mal. Ich entscheide mich für die vertrauensvollere Variante. Die vielen Weichen vor dem Bahnhof und die surrende Klimaanlage wiegen mich langsam ins Traumland.

00:35 Uhr. Wir stehen fast. Ganz eindeutig. Der leicht rauschende Wind an den halbdichten Fenstern fehlt. Dafür zischen die Druckluftbremsen. Kein gutes Zeichen, denke ich. Könnte vielleicht Ratlosigkeit oder Langeweile im Führerstand sein. Für den Schlaf fehlt jetzt das leichte Schaukeln.

00:40 Uhr. «Einige Minuten» soll es dauern bis zur Weiterfahrt, lassen die Lautsprecher verlauten. Der gepiercte Mann am Ende des Wagens spielt schon nervös mit seiner Zigarette. Nikotin muss her. Jede zusätzliche Minute im Zug ist eine verlorene in den Augen der Glimmstängelindustrie.

00:55 Uhr. Die optimistische Stimme mit den «einigen» Minuten ist nun einer schweren Mischung aus Fassungslosigkeit über den späteren Feierabend und einem militärischen Drill, nicht auszusteigen da es im Tunnel gefährlich sei, gewichen. Fahrleitungsschaden. «Keine Weiterfahrt, warten, abschleppen, Taxi, Busersatz und Sorry-Check» lautet dann die Verkündigung direkt im Wagen. Zwei amerikanische Teenager mit einer halben Tonne Gepäck erkunden sich bei andern Reisenden nach dem Airport. Warum auch immer man morgens um 1 Uhr dahin will, gilt doch ein Nachtflugverbot. Das einzige was da noch Lärm macht, sind vorbeidonnernde Güterzüge. Mein Wunsch nach dem gedimmten Licht ist ohne Einsatz noch real geworden. Strom scheint es nun nur noch von der Batterie zu geben.
Eine rege Diskussion setzt ein. Der Gepiercte beginnt eine Konversation über seine Kochkünste mit seiner Nachbarin (einer Köchin), die Amerikanerinnen versuchen ihren Sekundar-Englisch-Level-Dolmetscher bei Laune zu halten. Leute irren durch den Zug auf der Suche nach der Cigar-Lounge oder einem noch fahrenden Wagen.

01:05 Uhr. Die Diskussionen halten an. Das «Zugteam der SBB» diskutiert fröhlich mit, Leute aus anderen Wagen stossen dazu. Es beginnt ein Get-together, das der Bünzli-Schweizer sonst nicht mal beim Apéro pflegt. Ans Schlafen ist da auch nicht mehr zu denken.

Die Zeit steht plötzlich still. 

Der sonst getaktete Alltag hat einen Knick erlitten. Zeit ist plötzlich kein Mass mehr, sondern eine Unbestimmte. Der Reisende mit seiner wichtigen Aufgabe "zu reisen" – und sich dabei entsprechend auch so zu verhalten – fällt aus seiner Rolle. Der Opportunismustrieb drängt dann zur Alternative, die Alternativlosigkeit zur Konversation und Konversation zu andern Menschen und anderen Leben.

Diese Möglichkeit fehlt uns oft im Alltag. Weil es (zu) einfach ist, sich komplett zu verplanen und der Zeit nachzulaufen. Dabei das Glück dieser Welt nicht an Aufgaben und Zeit gebunden, sondern an Erlebnisse. Erlebnisse aus dem Leben, die wahrscheinlich nur entstehen, wenn es nicht nach Plan läuft.

Das sich der Zug dann trotzdem in den nächsten Bahnhof bewegt, fällt bei diesem Erlebnis fast keinem mehr auf. Zu schön war der Moment der Ungebundenheit an Zeit und Aufgabe, den man gerne noch etwas verlängert.

02:00 Uhr. Unterdessen steht auch der Ersatz-Zug wieder. 25 Kilometer weiter vor dem Bahnhof Winterthur. «Einige Minuten» wegen laufender Bauarbeiten im Bahnhof kämen noch dazu, meint der Lautsprecher. Die Köchin und der Gepiercte diskutieren immer noch leise über fast alles – ausser ihre Verspätung. Denn was kümmert einem der eigentliche Plan, wenn gerade sonst das Leben spielt?

Später im Bahnhof Winterthur kommt der Plan wieder zurück. Zwei Extrahalte, weil Anschluss nicht abgewartet, Taxi nach Anderswo, Verspätung 100 Minuten. Die Zeit kommt zurück.

Ich lege meine Kaputze über die Augen, drehe mich um und lasse den Moment noch etwas weiterträumen.

Ein neues Kapitel

Am Anfang des Jahres standen noch einige Fragezeichen, wo die Reise mit mir hingeht. Ich war zugegeberweise etwas pessimistischer als viele meiner Kollegen und Dozenten an der Uni, was meine Zukunft angeht. Viele dachten, der Zech wird jetzt erst richtig zum Zugvogel. Ich versuche auf dem Boden zu bleiben und trotzdem abzuheben. Zeit für einige kritische Reflexionen und mich (endlich!) wieder täglich zu rasieren.

Frachwoche 2018, by alumniZHAW
Stolz darf ich trotz der etwas schiefen Fliege sein: Ich bin nun stolzer Besitzer eines Bachelordiploms «Verkehrssysteme» und wie das am Tech in Winterthur üblich ist, auch eines ungepflegten Barts für das letzte Semester.
Ich bekam von diesem Bart nicht viel mit. Erst dank der zwei Wochen Semester, die ich noch für meinen Trip an die Olympics nach Korea quasi geschenkt habe. Und dann brach eine grosse Bachelorarbeit, die Arbeit bei der J. S. Bach-Stiftung und die Bewerbungsphase auf mich ein. Vor lauter knackiger Formulierungen in Motivationsschreiben blieb mir dann wenig Zeit fürs private, flüssige Schreiben – so wie hier.

Bleiben wir beim Bewerben: Bin ich froh, war das in der Schweiz. Ehrlich. Die Umstände, mich in andern Ländern zu bewerben, wo man sich erst NACH dem Erhalt des Diploms bewerben kann oder eine dreitägige Leibesvisite für ein Einstiegsprogramm in grossen Weltkonzernen zu bewerben, schreckten mich doch zu sehr ab. So blieb ich in der Schweiz – was sich zu meinem Glückfall entwickelte.

Da als Verkehrsingenieur vor allem über das Netzwerk (statt mit Anzeigen online) und eher kurzfristig gesucht wird, entschied ich mich für das Bewerben auf Traineeprogramme. Schon das war ein grosses Abenteuer. Online-Interview, Case Study, Rollenspiel – alles sind jetzt Begriffe, die jetzt auch mit der einen oder anderen Art von Erfahrung behaftet sind.
Gross waren auch die Unterschiede in den ganzen Prozessen, die sich doch gerne mal über drei oder vier Auswahlrunden und mehrere Monate ziehen. Das ging teils so weit, dass ich als Bewerber beim Online-Interview das bessere Video produzierte als die Firma. Oder dass aus, «wir melden uns in wenigen Tagen bei dir», auch gerne mal zwei Monate (ohne übertreiben) werden können.

Recht überrascht war ich, als der erste Schuss zum Treffer wurde – auch weil der Bewerbungsprozess fair und immer zügig voranschritt. Ab November darf ich bei einem grossen Schweizer Unternehmen mit gelbem Anstrich und etwas Service Public das Traineeprogramm beginnen und in eine schöne Wohnung mit Bergsicht umziehen. Vorläufig. Denn als grosses Unternehmen gibt es gute Möglichkeiten an den Zugvogel noch ein Business-Trolley zu hängen.

Dem Zwischen-den-Zeilen-Leser mag aufgefallen sein, dass bis November noch einige Flugmeilen platz haben – ich streite das natürlich nicht ab. Die zwangsläufige Frage ist dann meist: «Wohin?» – Als gut Bereister lasse ich das etwas lockerer angehen. Schliesslich soll gute Erfahrung auch einen bis zu 25-prozentige Effizienzsteigerung mit sich bringen. Ich hoffe, dies macht bei mir die auch mit der Reiseerfahrung verbundene grösser werdende Ideenvielfalt bei den Destinationen nicht ganz zunichte.

Erstmals beschäftige ich mich noch etwas mit Johann Sebastian Bach. Also nicht direkt, sondern am Rande meiner Arbeit für die Appenzeller Bachtage. Aber immer irgendwo zwischen lateinischen Bibelpsalmen und perforierten Werbeblachen für Stahlwürfel...

77 Tage zu spät – Olympia im Rückblick (Korea XI und Hong Kong I)

Zu sagen, mir sei gerade noch etwas dazwischen gekommen, wäre wohl falsch. Seit 77 Tagen habe ich zu Olympia und eigentlich generell auf meinem Blog geschwiegen. Höchste Zeit für Follow-up dieser "strengen" Wochen und alles, was sonst noch dazwischen gekommen ist. Einige Gedankenfetzen mit Bildern, bevor alles ganz vergessen geht.


Ich zappe durch die vielen Fotos meiner 2. Korea-Reise. Die eiskalten Tage in der ärmsten Provinz des Landes, neu aber mit TGV-Verbindung (ja, es ist exakt der gleiche Zug) haben Spuren hinterlassen. Spuren die bis weit in die Leber und weit in die Erinnerung reichen.

Angefangen hat alles in Hong Kong. Fliegerbuddy Cede war neu mit Triple7-Kurs unterwegs und darum gerade auch dabei die Stadt zu erkunden. Besonders in Erinnerung bleibt mir den traditionellen kantonesischen Brunch. Kollegin Chang aus Macau wollte mir unbedingt die Spezialitäten zeigen. Man stelle sich das so vor: OLMA-Trinkhallen-Dichte ohne Alkohol und nur mit hungrigen Chinesen, die dicht an dicht auf Up-cycle-Mobiliar sitzen. Dann kommt auf Spitalschiebewagen aus Grace Anatomy dampfendes irgendwas hereingeschoben. Je nach Geruch stürzen sich alle darauf, so dass nach 10 Sekunden alles weg ist. Eine alte Mitarbeiterin in Schlachthof-Gardarobe macht dann einige Stempel auf ein Blatt der Glücklichen mir den starken Ellbogen -- so ähnlich wie ich Einträge ins SAP mache mit der Hoffnung, dass schlussendlich die Buchhaltung stimmt.


Nachdem am gleichen Morgen auch noch im Emoticon-Tesla-Kombination im Hotel nebenan geheiratet wurde, war ich definitiv reif für die Insel. Also eigentlich Halbinsel. Denn dank Kim im Norden ist es recht schwierig, auf dem Landweg einzureisen.


Trotz des ganzen Olympia-Wirbels wurde es nicht sehr warm im Land. Wochen bei -20 °C Tagesmax und ordentlichem Windchill aus Meeresrichtung erwarteten mich die nächsten Wochen. Wir feierten den ersten Tag mit positiven Temperaturen wie Neandertaler das Überleben der Eiszeit. Aber im koreanischem Stil. Soju (Reisschnaps) darf nicht fehlen!
Das folgende Foto trügt also: Der vorangehende Warm-up, um rund 30 Sekunden für das Foto zu posen, ist harte Arbeit.


Hart waren dann auch die kommenden Wochen. Das Hin und Her zwischen Sport, Veranstaltung, Einladung, Apéro und Night Life hatten es insich. Geschlafen wird nach Olympia. Die zwei unteren Ringe des Olypmia-Logos, so sagt man, seien Augenringe...


Dafür entschädigten die Momente. Etwa am ersten Arbeitstag, als tatsächlich Schnee gefallen war und nach Schweizer Manier sofort alles entfernt wurde. Das Gerät dazu … naja, seht selbst! Wohlgemerkt ist das nicht der nervende Nachbar, sondern die offizielle, örtliche Schneeräumung im Olympia Dorf.


Auch die beiden Zeremonien hatten ihren eigenen Reiz. Die Teilnahme an beiden wäre so teuer gewesen, dass ich dafür auch kurz hätte in die Schweiz Ferien machen und zurück fliegen können. So verzog sich das ganze Team vom House-of-Switzerland in die nächste Bar und beobachtete das Treiben von dem Stadion vom geheizten Balkon aus.


Oder während der Proben gab die Lichtshow unserem Zuhause noch den Anschein des fünften Hotelsterns. Die vier anderen wären theoretisch auch anwesend gewesen, leider sind sie in den gefrorenen Wasserleitungen stecken geblieben...


Dafür hatte ich die coolsten, wärmsten Mitbewohner im ganzen Apartment Building. Und weil wir alle schon unsere Expat-Erfahrungen in Korea gemacht haben, genossen wir es für einmal, nicht auf der ständigen Suche nach Käse sein zu müssen.


Koreanisch genug war es auch mit Käse. Schliesslich gab es im Dörfli auch ein gutes Karaoke und tolles Essen! Und nicht zuletzt auch einige talentierte Fotografen unter meinen koreanischen Arbeitskollegen. Sie erwischten mich tatsächlich und schossen das koreanischste Foto von mir mit einem tollen Filter drauf!


Apropos. Nebst dem Käse wurde ein weiteres Cliché gefüttert. Zwar jenes des Schweizer Bergs schlechthin. Und jeder Koreaner muss einmal da gewesen sein. Mehr als die Hälfte der Koreaner waren schon da. Die restlichen schaffen wir auch noch, dank etwas Promo-Einsatz...


Trotz all des Rummels um Olympia, es gab zumindest tagsüber auch noch etwas Sport – und wenn es eine Medaille gab, auch noch eine lange Sportlernacht. Und wenn die Schweizer was können, dann ist es das gemeinsame Feiern. Sportler, andere Nationen, koreanische Skitouristen und die wohl urchigsten aller angereisten Schweizer Fans. Alle in einem House – ohne Sicherheitskontrolle und Einladung.



Cut.

So schnell wie alles ablief, so schnell war es auch zu Ende. Wir waren noch einige Tage länger da, aber Olympia war schon fort. Birch – die Stammbar aller Dagewesenen – wieder leer wie Tage vor dem Beginn.
Mich zog es nach getaner Arbeit nach Seoul zurück. Nebst einigen Bekanntschaften, erwartete mich auch eine tolle, etwas andere Stadtführung. Und natürlich mein absoluter Liebling. Kalbi an roter, scharfer Sauce.


Auf dem Heimflug, schlaftrunken, noch etwas alles Erlebte sortierend, grinste ich in mich hinein. Hinter mir ein tolles Abenteuer, unter mir das vergangene in Kazakhstan und vor mir neue Inspiration für eine neue Reise!


PS: Sollte stellenweise ein etwas zynischer Eindruck entstanden sein, der war durchaus gewollt. Keineswegs ist es aber wertend gemeint. Das Erlebnis an Olympia war unbeschreiblich, Korea halte ich immer noch für grossartig, inspirativ – nur schon wegen des Anzeige-Screens der freien WCs in der Autobahn-Raststätte. ;-)

2018: Olympia, Bach, Bachelor und dann…?

Weihnachten und Neujahr. Meine Zeit für Selbstreflexion. Die halbe Welt ist mit Verwandten, chronisch vollem Magen und dem burn-out naher Leber beschäftigt. Ich mag das Getümmel nicht sonderlich, da bleibt genügend Zeit für einige kritische Gedanken. Ein kurzer Blick zurück ins 2017 und ein erwartungsvoller nach vorne ins 2018.

Ooooppa Gangnam Style: Und was Korea und 2018 sonst noch zu bieten hat …
Zufriedene Gedanken werfe ich aufs letzte Jahr zurück. Wie schon die fünf Jahre zuvor behaupte ich, dass das letzte Jahr das beste meines Lebens war. (Wäre auch traurig, wenn nicht…) Es sind so viele Erinnerungen hinzugekommen! Es wird etwa so schwierig, alles zu behalten, wie zu schauen dass die Blasen im Neujahrs-Prosecco neben dem Raclette-Ofen nicht verpuffen.

Angefangen mit einem kurzen Trip nach Marokko (leider ohne Blogpost, dafür mit Bild oben), über meinen Austausch in Korea – mit der unvergesslichen Nacht in der Uni-Bib – und die Autofahrt in Kazakhstan, zur Herausforderung bei der J.S. Bach-Stiftung. Es war ein intensives Jahr. Aber ich konnte mich für so vieles begeistern, ich würde nur bereuen, etwas nicht gemacht zu haben. Unterdessen glaube ich ja, dass es schon fast ein Selbstläufer geworden ist, ich begeistere mich für das Neue, weil ich gute Erfahrungen mit anderem "Neuen" hatte und deshalb motiviert dafür bin (?)...

Viel Zeit zum Ausruhen bleibt nicht. In gut 4 Wochen ruft das nächste Abenteuer: Erst ein Kurztrip nach Hong Kong mit Vielflieger Ced, dann 1 Monat arbeiten für das «House of Switzerland» an den Olympischen Spielen in Pyeongchang. Ich hatte damals in einem meiner letzten Posts zu Korea unterschlagen, dass der lange Flug nicht nur für einen Beitrag hier, sondern auch für eine Bewerbung bei der Eidgenossenschaft gereicht hat. ;-)
Unterdessen bin ich stolzer Besitzer eines Flugtixs zurück (nach Korea, und auch wieder in die Schweiz später). Ich freue mich enorm! So sehr, dass meine Koreanisch-Kenntnisse unterdessen potenziert haben.

Und dann steht schon der Bachelor an. Keine Angst, ich habe mich nicht für Koh Samui beworben, sondern lasse im Frühling meinen bescheidenen Bart spriessen und darf mich ab Sommer dann "Ingenieur" nennen – und den Bart wieder abschneiden lassen...
Was dann kommt, weiss ich auch nicht. Und wo schon gar nicht. – Bestimmt etwas Neues, Spannendes. Wie die Jahre zuvor.

Ein Roadtrip fast bis nach Kirgistan und China (Kazakhstan II)

Fast hätte ich geglaubt nach der Rollertour in Sri Lankaletzten Sommer könnte mich nichts mehr erschüttern. Falsch geglaubt. Kasachische Strassen können einem im wörtlichen Sinn erschüttern. Ein Post über holprige Strassen und vermutlich den besten Weg Kazakhstan zu bereisen.

Die Aktau Berge im Altyn-Emel-Nationalpark
Rent-a-Car oder wie es schön in Russisch heisst «Awto Prokrat» würde alleine diesen Post füllen: Die meisten Strassen im Land sind eher kurzlebig (dafür sehr schnell) gebaut worden. Sie wirken wie ein Farbkatalog von grau bis schwarz mit der Bonusfarbe «Schlagloch» und sind deshalb fast zwingend mit einem SUV zu befahren. Entsprechend besorgt sind die Autovermieter, dass das Auto nach einigen tausend Kilometern schrottreif ist.
Lustige Regeln grosser Autovermieter wie «max. 150 km pro Tag», «max. 5 km aus der Stadt fahren» oder hohe Preise sind die Folge. Kleine Hinterhofanbieter boomen wie der Tourismus.

Unsere «Lexi», ein Lexus SUV 4x4, gilt als stabiles, komfortables Auto wie mir einige Kazakhs erklären. Der russische Vermieter, Typ «Stasi». Er überwacht alle Fahrzeuge mit einem GPS-Tracker. Nach zäher Verhandlung kostet uns der Spass 140'000 Tenge (ca. 400 Franken, für 4 Personen) für unsere Route. Je nach Strassenzustand kostet die gleiche Strecke mehr oder weniger. Unsere eher mehr.

Einen Tag später wissen wir auch weshalb: Die Querrillen der Kiesstrassen auf gut befahrenen Nationalstrassen und 12 km Bergweg der Sorte «Mit-dem-Pferd-geht’s-schneller-als-mit-dem-Auto» lockern gerne Schrauben oder bohren sich in das dünne Gummiprofil der Reifen. Dank Fahrtraining im kanadischen Outback, geht’s ohne Platten.

Staubiges Heck. Und Fingerpainting über Studenten und meine Autoliebe ...

Einen weiteren Tag später lädt der staubige hintere Teil zum finger painting. Das Fahren ist schwierig, Erfahrungen mit Computergames aus der elektronischen Steinzeit helfen allen bösen Monster(löcher)n auszuweichen.

Die Belohnung für die ganzen Fahrstrapazen sind wenig Verkehr, Rückenmassage durch das Auto und einen fantastischen Ausblick auf hunderte Kilometer kasachische Steppe und spannende geologische Strukturen. Letzteres ist sehr ernst gemeint. Wirklich. Nach dem Grand Canyon und Stonehenge gibt es im Süd-Osten an der Grenze zu Kirgistan und China imposante Berge und tiefe Klüfte. Wer mehr geologisches Know-how von mir erwartet, ich muss passen. Fehlender Russisch-Kenntnisse und beschränkte Begeisterungsfähigkeit für Steine sind gute Ausreden.

Interessanter fand ich eher die Tankstellen. Es gibt ca. fünf verschiedene Qualitäten Benzin. Alles von Oktan 80-96. Preislich sind alle okay, circa 130 bis 170 Tenge pro Liter, 38 bis 50 Rappen pro Liter. Ich bin mir nicht sicher, ob «Lexi» auch mit Oktan 80 fährt, unter 92 getrauten wir uns nichts zu tanken.

An Tankstellen ist auch immer Umschlagplatz für shared taxis. Und in Kazakhstan ist jedes Auto Taxi. Wir verdienen einmal 500 Tenge (1.30 Franken), weil wir einen Automechaniker mitnehmen. Ansonsten helfen wir nur Backpackern.
Eine Einkommensquelle ist das Taxi spielen aber allemal. Hitch-hiking ist Alltag, der mittlere Besetzungsgrad der Autos bei ca. 3 Personen. Ein feuchter Traum für jeden Verkehrsplaner.




Spass auf dem Highway, wenn gerade kein Auto kommt.

Soooo, und dann noch ein bisschen Antifreez.

König der Schüttelstrassen

Steppe & Strasse gehen fliessend ineinander über.
Charyn-Canyon: So imposant wie der grosse Bruder in den USA:


20 Stunden Teil der Zuggeschichte (Kazakhstan I)

Nach zwei halbfertigen Blogposts über London und das günstige Fliegen, kam ein Abenteuer dazwischen. Kasachstan.

Steppe, Berge und genügend Flüssigkeit für heisse Stunden:
Unterwegs mit dem Nachtzug in Kazakhstan
Hohe Berge und die grosse Weite lockten. Dank der visafreien Einreise dieses Jahr, war die Entscheidung schnell gefallen. Gegen Oman, Israel und Argentinien hat sich Kasachstan durchgesetzt.
Schnell wurde klar, das es uns (zwei Verkehrsingenieure) auf die Schiene zieht. Ein Relikt aus Sowjet-Zeiten und erstaunlich gut erhalten und gepflegt. Das e-ticket war schnell gebucht. 5000 Tenge (12 Franken) kostet die 20-stündige Fahrt über 1000 km im 4er-Abteil. Zuhause reicht das nicht mal für eine halbe Stunde IC in die nächste grössere Stadt.

Abfahrt: 23:18. Minutengenau. Nach einem kleinen Unfall unseres Taxifahrers auf dem Weg zu uns, verpassten wir den Zug fast.
Die Rucksäcke gescannt wie am Flughafen, erwartete uns eine Art funktionstüchtiges Eisenbahnmuseum mit Bewegungsdrang. Eingestiegen wird direkt vom Schotterfeld

Immer gut ein Ingenieur an Bord zu haben.
Unsere Reisegspänli, halb neugierig, halb frustriert, dass wir weder kazakh noch russisch sprachen, teilten gerne ihr Essen und erklärten den Komfort des Abteils. Bald schaukelte uns der Zug in den Schlaf und gab uns erst um 9 Uhr wieder ein Bild von sich. Etwa 600km weit sind wir seit beginn gekommen. Langsam aber stetig.
Immer wieder streckten neugierige Gesichter ihren Kopf durch die Abteiltür. Mal geschäftstüchtig, mal zum plaudern.

Mama/Kind wurden gegen zwei stämmige Ölarbeiter getauscht. Um 11 Uhr morgens teilten sie ihr Bier mit uns. Es werde sonst warm, meinte einer grinsend.
Er sollte recht behalten, im Süden von Kasachstan ist, wird es gerne mal über 40 Grad tagsüber. Wir hatten den richtigen Tag ausgewählt. Schlussendlich erreichten wir 42 laut Wetterapp.
Wärmer war es nur noch im Wasserkocher des Wagens. Aber angesichts der Hitze mochte ich weder Tee noch das mitgebrachte Ramen essen.

Die Mitreisenden sind sehr verschieden. Mal jung ...
... mal schon im Bieralter.
Wir entschieden uns für einen Jass und Leichtbier im Speisewagen. Einer der beiden Wagen-Schaffner grinste, fragte mich nach einer kühlen Cola. Nett grinste ich zurück, zeigte auf die Notbremse und spielte als sei sie ein Cola-Automat. 
Der Speisewagen hatte AC. Allerdings nur dann, nachdem jemand etwas bestellte. Die klassische Konditionierung klappte gut. 
Nach der zweiten Runde trugen wir uns ins Gästebuch ein, viele andere Ausländer schienen es nicht ins Restaurant, Wagen 10, geschafft zu haben.

Schönes Interieur der Züge in der "Kupe"-Klasse.
Der Fahrplan des Zuges ist eindrücklich. Von Almaty der Südgrenze zu Kirgistan entlang und dann zum Aralsee und dann ans Kaspische Meer. Rund 3500km one-way, knapp 2.5 - 3 Tage.
Zwischendurch stehen der Zug gerne 1 oder 2 Stunden und wartet Kreuzungen ab oder lässt sich von langen Güterzügen überholen.

Auf die Minute genau erreichen wir unser Ziel. Turkistan. Wir verabschieden und bedanken uns, tauchen auf dem heissen Perron im Getümmel der Händler, Taxifahrer und winkenden Familien unter. Der Zug verschwimmt in Hitze am Horizont. Mit ihm die alten und neuen Geschichten tausender Kilometer und Gäste. Ein kleiner Teil davon ist diese, unsere Geschichte.

Ein kleiner Markt bildet sich auf dem Bahnsteig.
20 Stunden weg für den schönen  Sonnenuntergang
am Mausoleum in Türkistan.

미래 // Zukunft (Korea X)

Ich sitze im Flieger. 1. Reihe. Business Upgrade. Ein schlechter Trost dafür, dass ich eigentlich gerne länger mein seoulitisches Leben genossen hätte und seit Tagen eine gröbere Krise deswegen hatte... Ein Artikel über das hinter, unter und vor mir.

미래 (mi'rae, future, Zukunft)

Ryan & Roman. Besties im Kakao Store.
HINTER mir liegt das liebgewordene Korea. Ein Land, das Zeit braucht es zu verstehen und in dem man erst kritisch beäugt wird. Dann hält das Land aber eine Freude und Herzlichkeit bereit, die so schnell keiner nachmacht.
Nach dem letzten Drink gestern, liessen mich meine Freunde denn auch ungern ziehen: Geschenke, eine vollgemalte koreanische Flagge und mindestens 10 Umarmungen mit jedem einzelnen. Aus der eigentlich ausgemachten Clubbing-Nacht wurde ein endloser Abschied. (Was aber nicht so schlimm ist, weil man gut auch noch um 3 Uhr morgens werktags Feiern gehen kann ...)

UNTER mir liegt Steppe von Westchina und der Frachtraum des Fliegers mit meinen 33 Kilogramm Gepäck. Die wiegen laut Quittung vom Check-in offiziell aber nur 30 ...
Ich bin froh, wiegen Erlebnisse und Erfahrungen nicht physisch. Dann hätte ich nämlich ein Frachter chartern müssen. ㅋㅋㅋ (kkk, koreanisches Lachen)
Ich glaube, viel von Korea zu verstehen (und noch lernen zu wollen). Viele "Westler Expats" können wenig mit der Kultur und den Leuten anfangen. Ich bin stolz, nicht diesem Trott verfallen zu sein, keine Meinung anderer kopiert zu haben und genügend Geduld gehabt zu haben, mir die Kultur und Sprache erklären zu lassen.
Gut möglich, dass ich Glück hatte: Die richtigen Personen zu finden, die lachen, aber nicht auslachen und koreanisch Wörter 10 statt 1 Mal wiederholen, sind rar.

VOR mir liegt IST - Istanbul. Dann ein Sommer voller Arbeit und einem neuen Reiseabenteuer (dazu später mehr ...). Und dann kommen einige Fragezeichen. Es wird wieder schwierig zu entscheiden was, neue Möglichkeiten und Gedanken sind dazugekommen. Das Leben pausiert schliesslich auch im Auslandsemester nicht, aber es lässt sich etwas leichter verschieben. 골록골록 (klogklog, koreanisches *räusper*)

Mein Auslandsemester konnte mir bestätigen, dass meine Zukunft wohl nicht einem Land, wohl aber auf diesem Planeten spielen soll. Und dieser Planet ist mit diesem Trip um ein Land grösser geworden. 한국 또 만나요. 보고싶어. ㅠㅠㅠ (yuyuyu, koreanisches Weinen)

커트 // Schnitt (Korea IX)

Mein Auslandsemester ist vorbei. Zumindest gefühlt. Noch stehen Prüfungen an und einige Essays und Präsentationen (nach koreanischer Manier mit schönem ppt-Layout) an, doch mental scheint das Abflugdatum im Kalender, wie ein Tumor, langsam alles drum herum zu verschlingen. Ein Post über den kommenden 커트 (cut [kongl.], Schnitt) und warum er schwer fällt.

Nachtsicht vom Eungbongsan (94.1m ASL)
mit Blick auf Seoul Forest, Han River und Gangnam.
Zum gefühlten 1000sten Mal wurde ich schon gefragt, wann denn mein Rückflug sei. Nach den gelernten Prinzipien im Marketingkurs habe ich versucht, ihn durch "low-involvement learning" möglichst lange nicht zu wissen und immer wieder zu vergessen. Unterdessen steht er mir wie Tattoo auf der Stirn. Ich möchte am liebsten zum Laserstudio rennen und ihn wegmachen. Ich habe mich so an das Leben hier gewöhnt, ich möchte den anstehenden Schnitt nicht.

Vor Wochen habe ich noch überzeugt gesagt, dass ich eher mit der Gesellschaft hier lebe als in der Gesellschaft. Unterdessen ertappe ich mich immer wieder, wie ich den gewisse Gewohnheiten der Koreaner abschaue und kopiere. Einige Beispiele:
가 Ich stehe nie vor 9 Uhr auf, weil kein normales Geschäft vor 10 Uhr öffnet.
나 Ich esse keine regelmässigen Mahlzeiten, ausser dem Frühstück. Ich lasse mich einfach von meinem Hunger treiben.
다 Ich lerne im Coffeeshop für mehrere Stunden, ohne schlechtes Gewissen zu haben, noch was kaufen zu müssen.
라 Ich beantworte meine KakaoTalk (koreanisches Whatsapp) im Gehen und an der Ampel verpasse ich dann die Grünphase.
마 Ich lerne auch ab und zu in der Bibliothek - oder wie ein Kollege sagt "Survival-of-the-fittest-Hall".
바 Ich benutze verschiedene Varianten von "OH" fürs Bewundern, Anerkennen, Fragen, Verstehen und so weiter ...
사 Ich bin ob den zahlreichen Romanisierungen von koreanischen Wörtern verwirrt. Wenn ich koreanische U-Bahn-Stationen oder Namen selber romanisiere, ist es meist falsch. Da hilft es nicht mal, dass es ROMANisierung heisst ... Beispiel: 왕십리 - da wo ich wohne - heisst eigentlich Wang'sib'ri, weil aber die Aussprache eher wie Wangsimni tönt, wurde die Romanisierung einfach abgeändert ... Koreaner lachen mich dann gerne ein bisschen aus. ㅋㅋㅋ

Zugegeben: Gewisse andere Austauschstudenten haben diese Probleme nicht, dafür hält sich auch ihre Faszination für Korea (und vor allem die Koreaner) in Grenzen ...

Noch gute zwei Wochen bleiben mir hier. Sie werden intensiv und kurz in Erinnerung bleiben. Ein abenteurlicher Trip nach Ulleungdo steht an. Und eine Post-travel-depression naht und damit wahrscheinlich viele Stunden auf Skyscanner, um sie zu überwinden ...

안전한 곳 // Der sichere Himmel (Korea VIII)

Wer im Westen Korea hört und noch nie her war, hat ein düsteres Bild des Landes. Gedanken fallen schnell auf Säbelrasseln und stramme Militärparaden im Norden. Wie sicher Korea ist und warum Westen und Korea finden, dass das andere Land nicht sicher seien.

(안전한 곳, an'jeon'han kot, the save heaven)

Sonnenuntergang vom Namsan/Seoul Tower
mit Blick über Seoul
Wenn Koreaner etwas im Griff haben, dann ihre Sicherheit! Sobald irgendwo was los ist, stellt der Staat Hundertschaften von Polizisten bereit, die im lottrigen Bus angetuckert kommen. Viel zu tun, haben sie meistens nicht. Denn der Respekt vor ihnen ist gross. Noch grösser die Angst vor einem Gesichtsverlust bei einem Vergehen. Und die Strafen sind hart, Drogenkonsum (Soju exklusive) und sexuelle Belästigung können mehrere Jahre zur Folge haben.
Als Expat bedeutet ein Verfahren oft auch das Ende hier. Ausweisungen und Einreiseverbote werden grosszügig erteilt. Eintrichternde Worte von International Office der Uni und einige Präzedenzfälle vergangener Semester zeugen davon ...

Wie selbstverständlich lassen Koreaner alles stehen und liegen. Völlig selbstverständlich. Koffer am Flughafen (sic!), Laptops in den Vorlesungsräumen und Handtasche im Klub. Es bleibt alles, wo es ist. Immer. 
Ausser im Wohnheim. Hier beanspruchen einige Studenten gerne mal das Geschirr der common area tagelang für sich. >.<

Wenn mal genügend Zeit ist und Familie Kim auf Reisen geht, hat die Sicherheit im Reiseland grosse Wichtigkeit. Eine Metrofahrt in Paris sei ein echtes Abenteuer, meinte kürzlich eine Koreanerin, "aber ich hatte nachher noch alles." 

Das scheint für den Westler etwas irrwitzig. Der laute Norden des Landes (wir glauben hier immer noch an eine friedliche Wiedervereinigung) scheint im Westen viel bedrohlicher. Das reicht bis zu Fragen wie "Willst du nicht früher heimkommen wegen der Situation?" oder "Kannst du denn deinen regulären Flug noch nehmen?".
Für alle die hier leben, hat das beschämend. Es zeugt von wenig Wissen und einem sehr reduzierten Bild des Landes im Westen. Ja, es ist zwar offiziell "Krieg/Waffenstillstand", aber das seit über 60 Jahren. Und wer diese Zeilen gerade auf seinem Samsung oder LG liest, will hoffentlich nicht behaupten, dass Land mit ernsthaften Krieg noch hochtechnologische Güter herstellen und viel exportieren würde (auch wenn das vorletzte Modell eines Herstellers explosiven, nordkoreanischen Charakter hatte ...)

Der laute Norden nimmt viel (mediale) Aufmerksamkeit in Anspruch, zulasten des Wissens über Gesellschaft und Kultur hier. Abseits davon wächst eine starke Wirtschaft und ein extrem gebildetes Land heran. Vielleicht wird Korea auch deshalb "Land der Morgenstille" genannt?

밤의 유흥 // Leben in der Nacht (Korea VII)

Die Zeit vergeht schnell in Korea. So schnell, dass bei öffentlichen Digitaluhren gerne mal noch die 10-tel Sekunden angegeben werden. Noch rund vier Wochen bleiben mir das Land kennenzulernen. Korea, ein Land voller Stadt, Unterhaltung und Nachtleben. Ein Post über das Leben und die Gesellschaft in Korea.

밤의 유흥 (bam'ui yuu'heung, nightlife, Nachtleben oder Nachtunterhaltung)

Grandma's Place
Ich sitze beim Abendessen im Hinterhofquartier von Wangsimni. "Grandma's" nennen wir Austauschstudenten die billige Beiz liebevoll. 4'000 Won (3.50 Franken) kostet ein Menü, unlimitierte Nebengerichte inklusive. Ausnahmsweise bin ich alleine da. Den Besitzer wundert's: "Only you? - Jin'gu opso!? (Nur du? - Ohne Freunde?!)". Er lacht, seine Mutter, die Chefköchin, auch. Wir kennen uns seit dem ersten Abend in Korea.

Vor dem Fenster beginnt das koreanische Nachtleben. Grell blinkend, laut lachend, KPop füllt die Strassen. Aufregend! Die vielen Eindrücke machen mich schnell müde. Immer noch. Nach Monaten in dieser Welt, wo es tagsüber eher ruhig und schläfrig zugeht, ab so 8 Uhr abends, dann aber richtig gelebt wird. Jetzt, mit ein paar Zusammenhänge mehr im Gepäck, wirkt das ganz normal und erklärbar.

Korea, ich beschreibe es auch liebevoll "Das Amerika Asiens mit einer Prise Kultur aus allen Kriegen und mit Konfuzius im Kern".

Konfuzius bestimmt das gesellschaftliche Zusammenleben, den Umgang und die Familie. Das Alter und der Name haben hier den gleichen Stellenwert. Entsprechend genau können die meisten auch das Alter schätzen - auch meins. Auf 23-25 Jahre schätzen mich die meisten. 24 wäre richtig. Koreanische Zählweise wohlbemerkt.

Die Kultur ist eine eigene. Mit Stolz wird von verschiedenen Dynastienen und eigener Architektur gesprochen. Die zahlreichen Kriege haben aber einige Spuren hinterlassen. Am besten sieht man das an der Sprache: Neben dem eigenen Wort für "Raum" (방, bang) wird auch das chinesische Wort (실, sil) benutzt. Gewisse japanische Zeichen werden als Abkürzungen z.b. für Grössen und "emergency exit" verwendet. (Soweit ich dies als Korean Sprachschüler Level 1 erkennen kann.)

Zuletzt hatte in der jüngsten Vergangenheit Amerika einen grossen Einfluss: Rechtssystem, Strassenregeln, Sprache (Konglish) und Schulnoten. Es wirkt wie ein Gerüst, das dem schnellen Wachstum etwas die Richtung weist, wenn auch etwas übergestülpt. Es schaut manchmal so aus, als könne man sich nicht richtig entscheiden, wie damit umgegangen werden soll.
Zum Beispiel sind klassische KPop-Groups zwischen 16 (sic!) und 25 Jahre alt. Sie erinnern mich an einen Mix aus DJ Bobo's Tanzeinlagen, One Direction und Tokio Hotel, einfach mit kurzen Röckchen statt tiefem Ausschnitt und weniger Sexappeal in den Videoclips.

Um wieder zum eigentlichen Thema "Nachtleben & Gesellschaft" zurückzukehren, hier ein schmackhaftes Beispiel von 여자친구 (Yoo'ja'jin'gu - girlfriend):


An diesem Punkt habe ich wahrscheinlich die meisten männlichen Leser an den Youtube-Channel von Girlfriend verloren ... Für alle übrig gebliebenen hier meine westliche Ansicht auf das koreanische Nachtleben:

Für viele hier scheint das Nachtleben eine Art Fluchtort zu sein. In von Soju aufgeheiterten Partynächten, wird gerne die Müdigkeit hinter einer Fassade von Make-up überspielt und Zukunftssorgen vergessen. - Und nein, mit Zukunftssorgen ist nicht das SäbelBombenrasseln von Nordkorea gemeint.

Ein extremer Druck lastet auf jungen Schultern. Es wächst in Korea eine gesamte Generation heran, deren Uniabschlüsse und gute Noten inflazionären Charakter haben. Gut zu sein, ist nur noch okay. Zu den besten muss man gehören, um etwas zu erreichen. Auch weil nirgends ein so grosser Anteil der Bevölkerung studiert wie in Korea.

Diese Abschlüsse kosten viel. Geld, dass aus Familienschulden kommt und auf direktem Weg an die zahlreichen Universitäten fliesst. Nach Abschluss einen guten Job zu finden, ist darum für die Finanzen der ganzen Familie wichtig.

Kaum ist auch das Gerangel um die guten Jobs in den 재벌 (chae'bol, grosse Conglomeratskonzerne in Korea) beendet, geht es rastlos im Arbeitsleben weiter. Wenig Ferien (max. 2 Wochen pro Jahr) und lange Stunden im Büro (mind. 60-70 Stunden pro Woche, 6 Tage die Woche). Jammern & Reformen? - Beides ist verpönt, letzteres schaut meistens auf dem Papier gut aus.

Nach der Arbeit oder einem langen Tag an der Uni eins (oder mehr) mit den Kollegen trinken zu gehen, halte ich deshalb für selbstverständlich. Ablenkung ist wichtig, wenn auch sehr alkoholgeprägt. Jedem skandinavischen Präventionspolitiker würden die Haare ausfallen, wenn er wüsste, dass hier ein Vollrausch um 6'000 Won (5 Franken) kostet ...

Mit einer solchen Gesellschaft zu leben, die bis frühmorgens freudig lachend Soju-Shots kippt und tagsüber fast einschläft, ist faszinierend. Jeden Tag, auch nach Monaten hier!
Auch wenn es mir als Student (und vielleicht auch arbeitenden Expats) schwer fällt mit diesem Lebensrhythmus mitzuhalten, ist diese Art der aktuellen Kultur extrem spannend. Schräge Öffnungszeiten, zahlreiche Unterhaltungsmöglichkeiten und merkwürdige Produkte, machen das Leben hier zu einem Erlebnis (siehe Fotos).

Fried Chicken gefällig? - Aber erst nach 16 Uhr ...
Überall schlafende Leute.
Ich diesem Fall auch ich ;-)
Eine augenwärmende Schlafmaske,
um Augenringen vorzubeugen.

렌트카 // Roadtrip in Korea (Korea VI)

Meine koreanische Zeit wird immer wertvoller. Nicht das mein Wert hier dermassen gestiegen ist, seit ich einige Brocken Koreanisch um mich werfen kann. Eher verschlingt das studieren hier sehr viel Zeit und meine Tage hier gezählt: Entweder greifen Kim's Truppen zuerst an und wir werden von der Schweizer Botschaft zwangsevakuiert oder mein regulärer Rückflug kommt zuerst. An die erste Option glaubt hier niemand. Ein Artikel über koreanische Fahrkünste, einen Roadtrip um die halbe Halbinsel im Stau verbringen kann ...


렌트카 (Raen'te'ca, Rent A Car)

Wer hätte es gedacht? Unser Mietwagen ist ein HYUNDAI Sonata (Hiun'dää ausgesprochen) - der VW Golf der Koreaner. Alt ist er nicht, aber einige Narben hat er schon. Koreaner sind wahrlich nicht für netten Fahrstil bekannt. Getönte Frontscheiben geben ihnen genügend Anonymität Vortritte, rote Ampeln und Speedlimits gekonnt zu ignorieren.

Ich gebe mir vorher kurz einen online Crashkurs auf einer Expat-Website und einen lustigen Lernfilm der U.S. Army zur vorherrschenden StrassenVordränglerkultur. Voila!


Es stellt sich dann als weniger schlimm heraus als im Video propagiert. Unser Hyundä schwimmt gut im Strom aller anderen Hyundä's und KIAs mit. Für alle Nachahmer trotzdem ein paar eigene persönliche Tipps:

1. Koreaner nehmen so ca. 5 Fahrstunden bevor sie die Prüfung machen. Und so fahren sie auch. Ruppig, wenig umschauend und egoistisch. Einige Foren sagen auch, sie fahren wie sie gehen. Motto: "Jeder schaut ein wenig, es geht dann schon."

2. Hat es keine Ampel, geht der Vortritt an den mit den Waghalsigeren. Um vorwärts zu kommen braucht es ein bisschen Mut sich auch mal irgendwo reinzudrängeln. Eigentlich gelten ja ähnliche Regeln wie in den Staaten.
Passiert bei Rot zulange nichts, wird mal gerne unbemerkt über die Kreuzung gekrochen.

3. Es gibt überall Blitzer. Das Gesetz sagt aber, dass mit Tafeln gewarnt werden muss. Im Naver-Navi sind alle vermerkt. Auf langen geraden Strecken (z.B. Brücken, Tunnels) werden Streckenmessungen gemacht. Die sind auch angekündigt und im Navi wird der bisherige Durchschnitt angezeigt.



4. Genügend lange Blinken beim Spurwechsel hilft. Nicht das es die Koreaner wirklich machen, aber immerhin kann man ihnen so, vielleicht ein bisschen Strassenmanieren beibringen, und manche machen auch Platz.

5. Intercity(IC)-ways kosten Maut und manche Strassen mit langen Tunnels oder Brücken auch. Das muss bar bezahlt werden.

Jetzt aber zum schönen Teil der Reise. Ich lasse gerne die Bilder sprechen:

"The Road Trip team" - mit Fundstücken vom Damm nach Sinsi-Do
Blick von Sinsi-Do über die westlichen Inseln
Wir sind die heimlichen Stars am Stadtfestival in Buan.

Paiting-Pose mit dem Bürgermeister und dann noch ein bisschen Wahlkampf.
Verneigt euch vor dem Tempel.
Ohh, zwei Schweizer haben Natur gefunden.
Yamyam, das Essen unterwegs.
Und gute Restaurants haben einen Kalender mit der Jungfraubahn!